Kann die evolutionäre Spieltheorie die Entstehung von Kooperation erklären?
Studie über die Schwächen eines formalen Ansatzes

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Die Theorie der „Evolution der Kooperation“
    2.1 Was die Theorie der „Evolution der Kooperation“ zu erklären beansprucht
    2.2 Die Gestalt der Erklärungen der Theorie der „Evolution der Kooperation“
        2.2.1 Axelrod's Theorie der Evolution der Kooperation
        2.2.2 Schüßler über Kooperation unter Egoisten
        2.2.3 Hirschjagdspiel statt Gefangenendilemma
        2.2.4 Kooperation und Reputation
    2.3 Ein erfolgreicherer Typus von Theorie zum Vergleich: Die Logik des kollektiven Handelns
3 Die Erklärungsdefizite der Theorie der „Evolution der Kooperation“
4 Fazit
5 Anhang: Quellcodes und Beispielsimulationen
6 Revisionsgeschichte
Literaturverzeichnis

2.2.3 Hirschjagdspiel statt Gefangenendilemma

Axelrod hatte in seiner Kooperationstheorie das Gefangenendilemma mehr oder weniger fraglos als formales Modell von Kooperationsproblemen zu Grunde gelegt. Auch wenn das Gefangenendilemma zweifellos ein plausibles Modell ist, beantwortet dies noch nicht die Frage, warum man ausgerechnet und nur das Gefangenendilemma zur Analyse von Kooperationsproblemen heranziehen sollte. Und in der Tat gibt es auch andere Alternativen. So beschreibt Brian Skyrms etwa verschiedene Simulationen des Hirschjagd-Spiels, das ebenfalls geeignet ist, als Modell eines (wenn auch weniger starken) Kooperationsproblems zu dienen (Skyrms 2004). Beim Hirschjagdspiel wird, im Gegensatz zum Gefangenendilemma, wechselseitige Kooperation mit einer höheren Auszahlung belohnt als einseitige Defektion, aber wechselseitige Defektion ist immer noch besser als einseitige Kooperation. Dementsprechend ist wechselseitige Kooperation zwar ein Nash-Gleichgewicht, aber die Strategie der Defektion hat dennoch den Vorteil risiko-sicher zu sein, d.h. die Spieler werden nur kooperieren, wenn sie davon ausgehen können, dass ihre Mitspieler es ebenfalls tun. Befinden sich die Spieler im „risiko-dominanten“ Gleichgewicht der Nicht-Kooperation, wird kein einzelner Spieler den Wechsel in das bessere kooperative Gleichgewicht bewerkstelligen können. Umgekehrt kann aber ein einzelner Spieler bereits das fragile Kooperationsgleichgewicht durch einseitige Defektion zerstören.

Angenommen eine Population von Spielern befindet sich im risiko-dominanten Gleichgewicht der Nicht-Kooperation, wie kann diese Population dann in das für alle vorteilhaftere kooperative Gleichgewicht wechseln? Skyrms demonstriert anhand verschiedener Modelle, dass sich - je nach dem angenommenen Replikationsmechanismus - eine kleine Anzahl kooperativer Spieler in einer nicht kooperativen Umgebung räumlich ausbreiten kann. Die Einzelheiten lohnt es sich nicht hier zu diskutieren.[7] Wie schon bei den Simulationen von Axelrod und Schüßler hängt das qualitative Ergebnis sehr stark von den Simulationsparametern und der Modelsituation ab. Das bedeutet aber auch, dass sich aus dem abstrakten Modell ohne unmittelbaren empirischen Bezug nur ableiten lässt, dass beides möglich ist, die Ausbreitung von Kooperation ebenso wie die Durchsetzung von Nicht-Kooperation.

Was leistet das Modell dann aber und wozu sollte man solche Modelle überhaupt aufstellen? Skyrms rechtfertigt seinen Ansatz folgendermaßen: „How do we get from the hunt hare equilibrium to the stag hunt equilibrium? We could approach the problem in two different ways. We could follow Hobbes in asking the question in terms of rational self-interest. Or we could follow Hume by asking the question in a dynamic setting. We can ask these questions using modern tools - which are more than Hobbes and Hume had available, but still less than we need for fully adequate answers.“ (Skyrms 2004, S. 10)

Ähnlich wie für Schüßler geht es für Skyrms also vor allem um die philosophisch prinzipielle Frage, wie Kooperation möglich ist, und er verweist zu Recht auf Hobbes und Hume, die als Vorläufer die normative bzw. faktische Seite dieser Frage bereits philosophisch erörtert haben. Was die spieltheoretische Modellbildung nun leisten soll, ist die Erörterung dieser Fragen auf höherem theoretischen Niveau. Ob das gelingt, wird zu untersuchen sein.

Festzuhalten ist zunächst, das Skyrms eine weitere Modellvariante für die Erörterung des Kooperationsproblems liefert, die ebenso wie Schüßlers und Axelrods Modell an der Schwierigkeit leidet, dass die Ausgangsbedingungen relativ willkürlich gewählt sind, dass das Modell zugleich aber sehr sensitiv auf Abwandlungen der Ausgangsbedingungen reagiert.

[7] Siehe Anhang 5.3, wo der Programmcode und die Ergebnisse einer Simulation im Stile von Skyrms festgehalten sind.

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