Die Humanismuskritik Arnold Gehlens in seinem Spätwerk "Moral und Hypermoral"

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Die philosophische Entwicklung Arnold Gehlens
3 Gehlens Humanismuskritik in „Moral und Hypermoral“
4 Gehlens Programm der pluralistischen Ethik und der Vorwurf der Moralhypertrophie
    4.1 Die Unzulänglichkeit von Gehlens pluralistischer Ethik
    4.2 Die bedingte Berechtigung von Gehlens Vorwurf der Moralhypertrophie
    4.3 Die Grenzen des Vorwurfs der Moralhypertrophie
5 Gegenentwurf: Hierarchische Ethik und Humanität als Primärtugend
6 Schluß
Literaturverzeichnis

4.3 Die Grenzen des Vorwurfs der Moralhypertrophie

Auch wenn eine pluralistische Ethik für den Moralismus vermutlich weniger anfällig ist, so stellt eine monistische Ethik wie die humanistische Ethik weder selbst eine Form von Moralhypertrophie dar, noch führt sie zwangsläufig oder mit innerer Logik dorthin. Gegenüber Gehlens pluralistischer Ethik hat die humanistische Ethik jedoch den Vorteil, daß sie tragische Situationen nicht zustande kommen läßt. Zusätzlich hat der konkrete ethische Pluralismus, den Gehlen vorschlägt, den Nachtteil, daß durch die Auffassung ethischer Imperative als „Sozialregulationen“ der Unterschied zwischen gerechten und ungerechten „Sozialregulationen“ leicht verloren geht. Auch unterscheidet Gehlen nicht besonders sorgfältig zwischen ethischen Werten und anderen Werten (ein Irrtum der durch die „Wert“-Terminologie anstelle der Rede von ethischen Imperativen stark begünstigt wird). So wird dann beispielsweise ein vitaler Wert, wie die Gesundheit, in die Nähe ethischer Werte gerückt. Dabei ist die Gesundheit keineswegs ein ethischer Wert. Höchstens kann der Schutz der Gesundheit ein ethischer Imperativ sein, was ein feiner aber - in Bezug auf diesen und noch mehr auf andere vitale Werte - wichtiger Unterschied ist. Diesen Unterschied vernachlässigt Gehlen auch, wenn er der humanistischen Ethik „Formalismus“ vorwirft.[79] Denn wenn die Würde des einzelnen Menschen für den Humanismus der höchste ethische Wert ist, so impliziert dies noch längst nicht, daß jedes Tun und jede Eigenschaft von Menschen als ethisch wertvoll angesehen wird. Es besteht durchaus kein Widerspruch, zwischen der Anerkennung der Menschenwürde eines Straftäters bzw. seines Wertes als Mensch und der Mißbilligung seiner Tat.

[79] Vgl. ebda., S.83., Vgl. ebda., S.143.

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